03.
Oct.
Tirol
04.
Oct.
Steiermark
04.
Oct.
So wichtig wie das Atmen für das menschliche Leben, so wichtig ist das Gebet für das geistige Leben des Menschen. Wer nicht mehr atmet, ist tot - wer nicht mehr betet, dessen Glaube ist tot. Wer nur oberflächlich atmet, ist krank - wer nur oberflächlich betet, dessen Glaube verkümmert. Oder können wir vielleicht sogar sagen: der verkümmert auch als Mensch? Deshalb fordert uns Jesus immer wieder auf, zu beten.
Christus als Vorbild
Sein ganzes Leben war Gebet und steht uns Modell: Dialog mit dem Vater, Ausrichtung auf seinen Willen. Immer wieder zieht er sich in die Einsamkeit oder auf den Berg zurück, um zu beten. Jede auch nur denkbare Situation findet sich in seinen Gebeten wieder: Jubel, Dank, Freude, Bitte, Klage und Aufschrei: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mt 27,46). Welch ungeheure Nähe zu Gott, aber auch welche Verlassenheit!
Stufen des Gebetes
Viele meinen, man müsse beim Gebet sofort sprechen und wundern sich, dass das Gebet nicht gelingt. Doch das Gebet beginnt nicht mit Reden, sondern mit Schweigen - und endet auch wieder im Schweigen. Man kann nicht mitten aus einer anderen Beschäftigung heraus, vielleicht unmittelbar nach einem Ärger, auf einmal Gott loben. Wir sind heute viel zu gehetzt, um unmittelbar auf ein Gespräch mit Gott umschalten zu können. Wir sind nicht nur oft auf der Flucht vor Gott, wir laufen uns auch selbst davon. Wir sind "zerstreut". Wir müssen uns also erst aus der Verflüchtigung sammeln, zu uns selbst kommen, konzentrieren. In das eigene Innerste gelangt man nicht, wenn man redet, sondern wenn man schweigt. Man gewinnt dadurch Tiefe, wird mehr Mensch. Nur wer zu sich selbst kommt, kann auch zum anderen und schließlich zu Gott finden. Die Schwierigkeit mit dem Beten besteht nicht nur darin, dass uns Gott so fern scheint. Wir selbst sind uns manchmal ferner als der scheinbar so ferne Gott. Menschen, die sich gern haben, müssen nicht dauernd miteinander reden. Es genügt, dass sie sich einander nahe wissen. Auch Gott versteht unser Schweigen.
Wissenschafter nehmen an, dass es auf anderen Sternen intelligente Wesen gibt, schicken Radiowellen in den Weltraum und hoffen, irgendeinen Kontakt zu bekommen. Niemand aber weiß, ob diese Botschaft aufgefangen wird. Ist es nicht mit dem Gebet ähnlich? Wir schicken Worte des Lobes, des Dankes, der Klage und der Bitte in die Unendlichkeit. Aber auf welche Weise erfahren wir eine Antwort? Vermissen wir diese Antwort vielleicht, und ist deshalb vielen das Gebet verleidet? Denn immerhin gehören zu einem Gespräch zwei. Könnte es nicht sein, dass der Ausgangspunkt falsch ist? Wir sollten nicht zuerst fragen, ob Gott uns hört, sondern ob wir auf Gott hören. Das erste Wort beim Gebet hat nicht der Beter, sondern Gott. Und er hat längst zu uns gesprochen. Nicht Gott antwortet im Gebet, sondern unser Gebet ist Antwort auf das, was Gott sagt. Am Anfang des Betens steht deshalb nach dem Stillwerden das Hören.
Ja, aber spricht denn Gott wirklich zu mir?
Oder bilde ich mir da nur etwas ein? Höre ich da nur das Echo meiner eigenen Wünsche? Natürlich darf ich nicht das Sprechen Gottes als "wunderbare Stimme" oder als eine innere Erleuchtung erwarten. Gott spricht mich in allem an, was mir begegnet: in den Ereignissen und Erlebnissen dieses Tages, in einem Buch, einem Wort, einem Brief, in Stimmungen und Gefühlen, in Menschen, die mir begegnen, in der Zeitung ...
Hören auf Gott heißt hinhören auf die eigene Situation, auf die Umstände der Zeit; auch auf die Kleinigkeiten und Selbstverständlichkeiten des Alltags. Es käme also darauf an, die Augen und Ohren offen zu halten. Nichts ist so klein, dass es nicht in ein Gebet gehörte. Wir dürfen Gott nicht so sehr im Außergewöhnlichen suchen, wir müssen das Alltägliche auf Gott hin "abklopfen". Der Glaube erfährt im Alltag nicht plötzlich andere Dinge, er erkennt aber dieselben Dinge anders. Er sieht sie in ihrer Beziehung zu Gott. Er weiß sich darin von Gott angesprochen. Das eigentliche Wort Gottes an uns ist Jesus Christus. Gott hat sich in Jesus Christus selbst ausgesprochen (vgl. Joh 1).
Mein Gebet ist Antwort auf Jesu Reden und Handeln. Freilich darf ich die Bibel, die darüber berichtet, nicht wie ein Sachbuch lesen. Ich muss hinhören im Bewusstsein: Hier bist du selbst gemeint, hier spricht dich Gott an. Der Blinde, der Lahme, der Hungrige – das bin ich. Ein Gebet, das mit dem Hören beginnt, wird nie langweilig. Weil einem der Stoff zum Gebet nie ausgeht. Und weil ein solches Gebet mit dem Leben zu tun hat, weil ständig andere Situationen mich ansprechen.
Wenn der andere anfängt zu sprechen, fällt es uns meist leichter, uns selbst mitzuteilen, zu antworten. So gelingt auch das Sprechen mit Gott, wenn es aus dem Hören kommt. Wenn ich "angesprochen" bin, dann weiß ich auch etwas zu sagen. Wie sieht das konkret aus? Wir suchen aus allem, das uns begegnet, den Anruf Gottes herauszuhören und darauf zu antworten. Am Morgen könnte ein solches Gebet lauten: "Herr, was willst du, dass ich heute tun soll?" Alles, was der Tag voraussichtlich bringen wird, nehme ich in den Blick und überlege, wie ich es im Sinne Jesu bewältigen kann. "Wie würdest du handeln?" Ein derartiges bewusstes Hineingehen in den Tag und in seine Situation verändert diese und uns selbst. So werden wir von überraschenden Ereignissen auch nicht umgeworfen.
Das Gebet lebt aus dem Alltag und der Alltag aus dem Gebet. Dann ist es auch keine Pflichtübung mehr, sondern hilft das Leben zu bewältigen. Ganz ähnlich sähe ein Abendgebet aus:
– Wir versuchen, aus der Distanz den ganzen Tag noch einmal zu überschauen, für das Gute Dank zu sagen. Wer zu danken vergisst, wird auf die Dauer unzufrieden.
– Für das, was uns und andere bedrängt, was uns vielleicht aus dem Fernsehen und der Zeitung bekannt wurde, zu bitten. Gebet ist ein wirklicher Einsatz für die Welt und für die Menschen.
– Und auch das Versagen wird nicht verdrängt, im Gegenteil. Alles lassen wir abklingen und fassen für den kommenden Tag einen besseren Weg ins Auge.
Weitere Informationen