Mag. Lukas Cioni
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Heute schon ans Sterben gedacht, an den eigenen Tod? Von Kardinal Franz König wissen wir, dass er sich jeden Tag seine Sterblichkeit in Erinnerung gerufen hat. Der Kardinal war sich bewusst: Sterben hat viel mit Leben zu tun. Das ist auch die Erfahrung von Christa Steiner, die als Seelsorgerin in Wien Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. „Sterben ist nicht nur eine Sache der letzten Monate, Tage oder Stunden.“ Der Tod gehöre ins Bewusstsein der Menschen, werde gesellschaftlich allerdings verdrängt, sagt Steiner. Wer zu Lebzeiten die Gelegenheiten wahrnehme, in denen der Tod nahe kommt, lerne, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Das sei ein großer Gewinn.
Das Leben lernen
An ihren beiden Arbeitsstellen, dem Pflegewohnhaus Innerfavoriten und beim Mobilen Palliativteam des Hospiz Rennweg der Caritas Socialis, ergeben sich für Christa Steiner oft Situationen, in denen sie dem Tod begegnet. Sie schätzt das. „Menschen in diesen Momenten zu begegnen, lässt mich erkennen, wie kostbar das Leben ist.“ Wie sehr Leben und Sterben zusammengehören, würde sich auch in der Weise zeigen, wie Sterbende auf ihr Ende zugehen. „Meine Erfahrung ist, dass Menschen ihr Wesen bis in die letzten Momente weitertragen. Wer stets humorvoll war, dem bleibt auch am Ende etwas Verschmitztes. Ängstliche Menschen gehen ihren letzten Weg eher mit Ängsten.“
Menschen, die mitten im Leben stehen, würden sich häufig wünschen, schnell zu sterben und den eigenen Tod gar nicht mitzubekommen. Am Lebensende ändere sich das. „Ich beobachte, dass die, die in die Nähe des Sterbens kommen, Bilanz ziehen. Diese Aufgabe scheint sich den Menschen ganz automatisch zu stellen“, sagt Steiner. Sie erinnert sich an eine alte Frau, die ihr systematisch aus ihrem Leben erzählt hat. „Sie hat mit der Kindheit begonnen und beim nächsten Treffen dann gesagt: So jetzt bin ich bei der Nazizeit.“
Die meisten Menschen seien – „aufs Ganze gesehen“ – mit ihrem Leben zufrieden. Manche bedauern, dass sie zu viel gearbeitet oder ihrem eigenen Ideal nicht entsprochen haben, zum Beispiel nicht der Vater waren, der sie sein wollten. Als Seelsorgerin ist Steiner häufig Ansprechpartnerin für Sterbende, denn Angehörige möchten oft nicht über den Tod sprechen. „Sie reagieren abwehrend, weil sie selber so betroffen sind. Ich aber kann sagen: Aha, das beschäftigt Sie!“
Kontrolle abgeben
Die allerletzten Momente würden meistens mit einer Bewusstseinstrübung einhergehen. Für Christa Steiner hat Sterben deshalb viel mit Hingabe zu tun. „Aus dem ‚Sei bereit‘ wird ein ‚Kontrolle aus der Hand geben‘. Der Mensch gibt sich da hinein und kann ein großes Ja leben.“ Ihre Erfahrung: Fast alle Menschen würden letztlich in Frieden, ohne sich aufzulehnen, sterben können. „Sogar bei denen, die nicht mehr sprechen können, sieht man das oft am Gesichtsausdruck.“
Entsprechend gefällt ihr auch der Ausdruck „Das Zeitliche segnen“: Denn Sterbende tun dies tatsächlich häufig in der einen oder anderen Weise: „Wenn sie sich um ihre Kinder sorgen, wenn sie fragen ‚Was bleibt von mir?‘. Oder indem sie über die, die zurückbleiben, wirklich einen Segen aussprechen.“ Sie selbst bietet für jene, für die das Sakrament der Krankensalbung keine Option ist, einen Sterbesegen an. „Dieses Ritual bringt das Leben des sterbenden Menschen ins Wort. Alles wird damit in ein besonderes Licht, in den Segen Gottes gestellt.“
Sandra Lobnig