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Pilgern

Der österreichische Jakobsweg

 

Der bekannteste europäische Pilgerweg – Ziel ist das Jakobusgrab in Santiago de Compostela – führt auch durch Österreich. Eindrücke einer kleinen Pilgergruppe.

 

Vor einiger Zeit erzählte mir ein Freund, dass er im Sommer auf dem österreichischen Jakobsweg pilgern werde: acht Tage von Purkersdorf bei Wien nach Linz. Auf meinen interessierten Blick hin fragte er, ob ich mitkommen wolle.

 

Nie zuvor hatte ich überlegt zu pilgern. Ein einziges Mal in meinem Leben war ich zu Fuß nach Mariazell gewallfahrtet. Doch die Idee, miteinander auf dem Weg zu sein, ließ mich nicht los. Dies und die Trauer über den Tod einer meiner besten Freundinnen waren wohl Gründe, dass die Einladung mitzugehen bald zu einem Herzenswunsch wurde: Familie, Beruf und Urlaubsplanung – trotz der Kurzfristigkeit gab es nirgendwo Widerstände zu überwinden. Dass sich alles so einfach fügte, war mir zusätzlich Bestärkung. In unserem Chor fanden sich noch Interessierte, und so brachen wir zu viert im August auf. Eine Idee und Menschen, die mit mir gehen würden, waren mir zugefallen.

 

Mit kleinem Gepäck

Mit meinem 8,5 kg schweren Rucksack machte ich mich auf den Weg. Gut, dass ich mein Gepäck vorher einige Male durchgesehen und manches zu Hause gelassen hatte. Diese Reduktion auf das Allernotwendigste und der Verzicht auf Überflüssiges schonten nicht nur meinen Rücken und die Schultern. Es war für mich eine wesentliche Erfahrung zu erkennen, wie wenig ich brauche, um glücklich zu sein. Die kleinen Dinge des Lebens wurden wertvoll. Nur das Nötigste zu haben und „nur“ zu gehen, das war für mich einfacher, als in den (scheinbar) vorgegebenen Strukturen und der Überfülle des Alltags zu leben.

Der Pilgerweg führte uns durch Wälder, über Wiesen, Felder und Hügel. Die Bevölkerung und Dorfverschönerungsvereine hatten auf dem Jakobsweg Brunnen und Rastplätze gestaltet, Häuser mit Jakobsmuscheln geschmückt. Diese Orte und zahlreiche Marterln, Kirchen, Stifte und Klöster luden immer wieder zum Innehalten, Singen und Beten ein. Bei unseren Kirchenbesuchen amWeg entwickelte sich bald ein Ritual. Zuerst betrachteten wir die Kirche als Kunstwerk. Einer von uns las kulturell Bedeutsames vor. Nach einer Zeit der Stille sangen und beteten wir miteinander. Da wir bei großer Hitze pilgerten, suchten wir manchmal richtiggehend Zuflucht und Geborgenheit in den kühlen Kirchen. Die historische Bedeutung des Kirchenasyls kam mir in den Sinn. Es war für mich eine völlig neue Erfahrung, im Gotteshaus Schutz zu suchen.

 

Neue Erfahrungen

Unseren Alltag hatten wir durch das Gehen rasch hinter uns gelassen. Freude an der Natur sowie amMiteinander, Achtsamkeit, Rücksichtnahme und Sorge füreinander waren spürbar. Gespräche und das gemeinsame Schweigen taten unserer Gemeinschaft gut: Zeiten des Lachens und Zeiten der Trauer, vieles hatte Platz. Es war wohltuend, auf diesem Pilgerweg, der zu einem wichtigen Stück Lebensweg wurde, gemeinsam zu gehen.

Der Vorteil unserer kleinen Gruppe war, dass sich vieles einfach ergab. Wenn einer Rast brauchte, nutzten wir den nächsten schönen Platz zum Ausruhen. Eine summte ein Lied, und die anderen stimmten ein. Die Tagesplanung war ohne großes Organisieren möglich. Freundliche und offene Menschen begegneten uns auf dem Weg. Sie halfen bei schlechter Markierung, den Weg zu finden, boten einen schattigen Rastplatz an oder plauderten mit uns. Da wir viel langsamer unterwegs waren als sonst – statt einer Stunde Autobahn vier Tage Fußmarsch – nahmen wir Kleinigkeiten wahr und hatten die Muße, uns daran zu erfreuen. 

 

Die Todesstiege

Sehr beeindruckend war das Wegstück beim Konzentrationslager Mauthausen. Gemeinsam stiegen wir die Todestreppe hinunter. Das Wissen, dass hier vor einigen Jahrzehnten Menschen hinauf und hinunter getrieben wurden und Unzählige ihr Leben lassen mussten, machte uns sehr betroffen. Mitten auf der Todesstiege hielten wir inne und sprachen das Gebet, das uns den ganzen Pilgerweg begleitet hatte. Es wird der Mystikerin Edith Stein zugeschrieben, die 1943 im KZ Auschwitz starb. „Ohne Vorbehalt und Sorgen leg’ ich den Tag in deine Hand. Sei mein Heute, sei mein Morgen, sei mein Gestern, das ich überwand. Frage nicht nach meinen Sehnsuchtswegen, bin in deinem Mosaik ein Stein. Wirst mich an die rechte Stelle legen, deinen Händen bette ich mich ein.“ Ein gesungenes „Kyrie“ half uns über die Sprachlosigkeit dieser berührenden Minuten hinweg.

 

Ein Freundschaftsweg

Ohne konkrete Erwartungen bin ich aufgebrochen, nur eine innere Sehnsucht trieb mich an. Wonach? Das will ich eigentlich vom Kopf her nicht bedenken und benennen. Typisch Frau: Intuition. Aber das Erleben des Miteinander- Unterwegsseins hat mich bestärkt, noch mehr auf meine Herzenswünsche zu hören und sie zu leben. Dankbar bin ich für diese Zeit und für alles, was wir einander mitteilten, was wir miteinander teilten. Die Freundschaft untereinander bekam ohne viele Worte Intensität. Gespräche wurden wesentlich, unser Umgang getragen von Achtung und Zuneigung. Die Reduktion auf das Wenige durfte ich als Erleichterung und Entlastung erleben. Nächstes Jahr werden wir weiterpilgern: von Linz nach Wörgl – so Gott will.

Christine Schmidl

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