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Erfolgreich scheitern

Plädoyer für eine pastorale Kehrtwende

Woran lässt sich Erfolg oder Misserfolg in der Seelsorge messen? Was lässt Gemeinden wachsen, was schrumpfen? Und was können wir von anderen "Sinnanbietern" lernen? Ein "miteinander"-Gespräch mit "Pastoralinnovator" Georg Plank und dem Weltanschauungsexperten Johannes Sinabell.

 

 

Herr Dr. Plank, Sie bereisen seit Start Ihres Projekts "Pastoralinnovation" Pfarren und Gemeinschaften auf der Suche nach neuen Impulsen. Welche Erfahrungen haben Sie von Ihren Reisen mitgebracht – und was können wir hier daraus lernen?

 

Plank: Auf all meinen Reisen war eine ganz einfache Frage leitend: Wo gibt es "erfolgreiche" Kirchen im Sinne von wachsenden Kirchen? Und was sind die Kriterien für ein qualitätsvolles Wachstum? Gezeigt hat sich dabei, dass sich Erfolg nie ohne die Erfahrung von Verlust und Rückschlägen, ja Scheitern einstellt.

 

Wir müssen uns also von der Gleichung verabschieden: Eine Pfarre, die wächst, ist per se gesund; in einer Pfarre, die schrumpft, ist der Wurm drin…

 

Plank: Ja, ich verwende da gerne eine Metapher aus der Landwirtschaft: Ein Obstbaum wächst nicht dann "gesund", wenn er einfach mehr Holz bekommt, sondern wenn er Früchte bringt. Um diese Früchte zu bringen, muss man immer wieder auch Totholz wegschneiden, "Verjüngungsschnitte" durchführen. In biblische Kategorien zurückübersetzt: Wo wird etwa eine kirchliche Willkommenskultur gelebt? Wo und in welcher Qualität werden die Werke der Barmherzigkeit umgesetzt? Gibt es eventuell Dinge, die man überdenken, vielleicht weglassen sollte, um anderem Raum zu geben?

 

Sinabell: Um im Bild des Obstbaumschnitts zu bleiben: Was wären denn die "Äste", die es abzuschneiden gilt, um gesundes Wachstum zu generieren? Woran erkennt man jene Dinge, von denen man sich am besten trennt? Meinen Sie damit pfarrliche Strukturen oder Angebote wie etwa eine Maiandacht oder ein Rosenkranzgebet, zu dem kaum mehr jemand kommt, oder geht es gar um Personen, Arbeitsplätze, die es einzusparen gilt?

 

Plank: Ich meine all jene Dinge, die Energie fressen ohne erkennbaren Ertrag. Ich nenne ein konkretes Beispiel: Die Firmvorbereitung. Dieses kostet nicht nur viel Energie, sondern auch viel Zeit und damit auch viel Geld. Zugleich ist die Firmung aber fast schon zu einem "Abschieds-Sakrament" geworden, nach dessen Empfang der Großteil der Jugendlichen – immerhin rund 50.000 pro Jahr – den Kontakt zur Kirche verliert. Um nicht missverstanden zu werden: ich will die Firmvorbereitung nicht abschaffen, aber ich wünschte, wir würden genauer hinsehen und erheben, was bei diesem großen Aufwand letztlich an "Früchten", an Erfolg bleibt – und wie man diese Früchte mehren könnte.

 

Sinabell: Dennoch stellt sich auch beim Beispiel Firmung die Frage, wie dort der Erfolg konkret gemessen werden soll. Vielleicht wendet sich ein Jugendlicher nach der Firmung vom Pfarrleben ab, aber engagiert sich in der YoungCaritas. Wäre das ein Misserfolg, weil er der Pfarre verloren ging? Oder doch ein Erfolg, weil er seine Berufung in der Caritas lebt? Mir scheint, Sie gehen stark organisationstheoretisch an die Sache heran und übersehen damit, dass sich pastoraler Erfolg eigentlich jeder Messbarkeit entzieht.

 

Plank: Sie haben Recht im Blick auf die quantitative Erfolgs-Messung. Aber ich möchte den Fokus eher auf das Qualitative legen. Wir messen Austrittszahlen, Eintritte, Budgetzahlen; aber wir schaffen es nicht, die Jugendlichen – um bei dem Beispiel zu bleiben – ein Jahr nach der Firmung zu kontaktieren und sie zu fragen, wie es ihnen geht, ob sie noch von der Firmung "zehren"? Das wären wirklich relevante Daten. Aber wir erheben sie nicht – warum? Ich vermute, weil wir Angst vor den Antworten haben…

 

Sinabell: Es wären vermutlich unbequeme Antworten, die zeigen würden, dass wir als Katholische Kirche eben nicht mehr unumstritten "relevant" für die Menschen in ihrem alltäglichen Leben sind – auch wenn viele in der Seelsorge immer noch so tun, als wären wir die einzig relevanten "Sinnanbieter". Es gibt noch einen institutionell verbrämten Blick auf die Realität der Menschen und Unverständnis woran es liegen kann, dass unsere pastoralen Methoden bei einer kirchlich gänzlich entwöhnten Generation nicht mehr greifen.

 

Könnten wir da eventuell gar von anderen weltanschaulichen Gemeinschaften und Gruppen lernen?

 

Sinabell: Ich bin da skeptisch. Denn wenn ich mich etwa im Spektrum christlicher Gemeinschaften umschauen, so gehen diese meist den umgekehrten Weg: sie suchen gerade nicht die Öffnung zur Welt hin, sondern pflegen ihr eigenes christliches Charisma nach Innen. Vereinfacht ausgedrückt findet eine Auseinandersetzung mit der Welt nicht statt, da sie diesen Gemeinschaften als moralisch zweifelhaft bzw. sündig erscheint. Das wahre christliche Leben kann ihrer Überzeugung nach nur innerhalb ihrer Gemeinschaften, bzw. Glaubenspraxis gelebt werden. "Erfolg" besteht für sie daher nicht darin, möglichst viele Mitglieder zu werben, sondern durch möglichst "100-prozentige" Mitglieder zu wachsen. Das mag in überschaubaren Gruppierungen funktionieren, kann aber meines Erachtens nicht der Weg einer Volkskirche sein, die auch Mitglieder hat, die in so einer religiösen Intensivgemeinschaft nicht bestehen könnten.

 

Plank: Damit beschreiben Sie ein wichtiges Phänomen, das meines Erachtens auch Papst Franziskus kritisch erkannt hat, wenn er sagt, dass die Kirche aus ihrer "Selbstbezogenheit" heraustreten muss. Und der Weg aus der Selbstbezogenheit führt bei fast allen Gemeinden, die sich auf den Weg der Erneuerung begeben, über die Diakonie, das konkrete caritative Handeln als Gemeinschaft. Wo sich Gemeinschaften und Gemeinden erleben in ihrem Dasein-für-Andere, da geschieht eine wichtige Kulturveränderung. Da erleben sich Gemeinschaften neu, da entwickeln sie neue Visionen, Bilder von Zukunft. Wir brauchen einen solchen kirchlichen Kulturwandel heute mehr denn je.

 

Sinabell: Das erscheint mir ein wesentlicher Punkt: Wenn Pfarren und Gemeinden in die Krise geraten, wenn sie schrumpfen, an Relevanz einbüßen, dann neigen sie dazu, ihre Selbstbezogenheit zu verstärken, sich nach innen einzukapseln. Es besteht die Gefahr einer Art "Sekten-Mentalität". Dagegen müsste man mutig hinaustreten und eine neue kirchliche Willkommenskultur entwickeln. Denn letztlich ist ja diakonisches Handeln nichts anderes als in der gelebten Nächstenliebe dem anderen zu sagen: Du bist wichtig für mich.

 

Plank: Dann würde sich vielleicht auch wieder einstellen, was so viele selbst engagierte Menschen in der Kirche so dringend brauchen würden: Erfolg. Die Resignation, die mir bei meinen Begegnungen in Pfarren entgegenschlägt, ist ja auch deswegen so groß, weil man vieles versucht und unternimmt, damit aber so wenige Wirkungen hat. Gewiss, das Scheitern gehört zu jedem Erneuerungsprozess dazu; es hat einen eigenen Wert, da es uns ständig antreibt zum erneuten Aufstehen und zum Vertrauen auf Gottes Geist. Meine Zuversicht ist: Gott betreibt ein großartiges Wachstumsprojekt mit seiner Kirche. Dem dürfen wir als Werkzeuge dienen – dann, wenn uns eine pastorale Kehrtwende zu den Menschen von heute gelingt…

 

Das Gespräch führte Henning Klingen

 

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe März

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