• Ausgabe 1-2 / 2015

    GLAUBE MACHT SCHULE

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Unsere Themen im Jahr 2015

Warum wir religiöse Bildung brauchen

Plädoyer für den Religionsunterricht von Volker Ladenthin

 

Unser Umgang mit der Welt ist zunächst ein nüchterner, sachlicher. Wir können uns die Welt schließlich nicht "zurechtwünschen". Unser Handeln muss dabei aber stets von Regeln und Prinzipien geleitet werden – wie etwa der Achtung der Menschenwürde. Wir tragen also Verantwortung dafür, dass wir nicht nur sachlich richtig, sondern auch sittlich gut handeln.

 

Doch wann hört diese sachliche und sittliche Verantwortung für unser Handeln auf? Wenn wir in Rente gehen? Wohl kaum! Wenn wir sterben? Tragen wir nur Verantwortung für die Welt, solange wir leben? Dem widerspricht, dass wir uns um unseren Nachlass sorgen. Warum überlassen wir es nicht dem Zufall, was mit unserem Erbe geschieht? Warum sorgen wir uns über unser Leben hinaus über das, was wir im Leben gesammelt haben? Und weiter: Warum bekommen wir Kinder und bilden sie für eine Zeit aus, in der wir nicht mehr leben werden?

 

Zweifel an der Endlichkeit

 

Es ist merkwürdig − selbst in alltäglichen Handlungen denken wir über unser endliches Leben hinaus: Wir alle handeln, als ob wir länger Verantwortung hätten, als wir leben. Wir betrachten unser Handeln aus einer Perspektive, die über unser Leben hinausgeht. Unsere Endlichkeit ist bei diesen Betrachtungen und Bewertungen aufgehoben. Wir alle handeln, als ob wir Verantwortung über den Tod hinaus haben… Gibt es eine einfachere Umschreibung dessen, was Religion ausmacht – zu akzeptieren, dass wir Verantwortung über den Tod hinaus haben? Religion ist so betrachtet Zweifel an der Endlichkeit. Eine Erfahrung, nebenbei, die alle Menschen teilen.

 

Die Konfessionen gehen mit dieser Erfahrung sicherlich unterschiedlich um – aber sie alle eint, dass sie nach dem Sinn unseres Handelns über das Leben hinaus fragen: Nicht nur nach Wahrheit – sondern nach dem Sinn, den es macht, Wahrheit zu suchen. Nicht nur nach der Gerechtigkeit – sondern nach dem Sinn, den es macht, gerecht zu handeln. Nicht nach dem Erfolg – sondern nach dem Sinn des Erfolgs. Erfolg bemisst sich an irdischen Maßstäben: Am Bankkonto, an der Macht, an der Popularität. Aber was sind die Kriterien für das Ranking? Wozu wollen wir erfolgreich sein?

 

Gelungenes und erfülltes Leben

 

Das Gelingen des Lebens bemisst sich daran, ob man mit sich und seinen Erwartungen zufrieden ist. Ob aber das eigene Leben gelungen ist, kann man nur selbst beurteilen. Da kann uns keiner helfen, keine Statistik, keine Bilanz, kein Wahlergebnis, nicht die Größe der Freundesliste bei Facebook und keine Trefferquote bei Google.

 

Aber wie und wann kann man beurteilen, ob das Leben gelungen und erfüllt ist? Doch nicht während man lebt, sondern nur, wenn man gelebt hat. "Drum blicke man bei jedem, der da sterblich (ist), auf den Tag, der zuletzt erscheint, und (man) preise selig keinen, eh er denn durch(ge)drungen bis zum Ende des Lebens, nie von Leid berührt (wurde)!“ Mit diesen Worten beschließt der griechische Dichter Sophokles seine Tragödie um den König Ödipus. Dieser war nach damaligen Maßstäben erfolgreich; aber gelungen war sein Leben nicht. Wer fragt, ob sein Leben gelungen ist, fragt, als ob er es aus einer Zeit nach seinem Leben beurteilte. Es ist, über die Zeiten und unterschiedlichen Konfessionen hinaus, immer die gleiche Frage: Habe ich letztendlich sinnvoll gehandelt?

 

Wozu soll man sich bilden?

 

Auch hier mögen die Antworten verschieden sein – aber die Frage ist für alle Menschen gleich: Wozu handle ich? Und unsere Kinder fragen: Wozu lerne ich? Auf diese Frage muss man gefasst sein, wenn man Kinder unterrichtet. Diese Frage ist naheliegend – und sie wird jeden Tag gestellt, wenn man im Winter morgens nicht aus dem Bett kommt und nachmittags die Hausaufgaben aufschiebt.

 

Wozu muss ich das lernen? Diese Frage ist so drängend, dass Kinder Lernstörungen bekommen oder die Schullaufbahn ohne formalen Abschluss beenden, wenn sie nicht angemessen beantwortet wird. Wer Kinder bilden will, muss eine Antwort auf die Frage haben, wozu man sich bilden soll. Und wer als Antworten nur bereithält: Damit du die Klausur schaffst, damit du einmal Geld verdienen kannst, verschweigt, dass diese Antwort keinem Menschen je genügt hat und keinem Menschen je genügen wird.

 

Zukunft sinnvoll gestalten

 

Menschen fragen bei allem, was sie tun immer nach dem Wozu. Diese Frage kommt nie an ein Ende – sie zielt auf die Unendlichkeit. Ein Spezialist für die Unendlichkeit ist indes der religiöse Diskurs: Er bearbeitet diese Frage mit aller Vernunft. Mögen die einzelnen Schulfächer Zwecke benennen können, wenn man fragt, warum man sie lernt. Man lernt Mathematik, um Zinsen zu berechnen; Englisch, um auf dem Weltmarkt ein Wörtchen mitzureden und die Naturwissenschaften, um es sich komfortabel in der Welt einzurichten. Diese Absichten sind naheliegend, plausibel und zweckmäßig. Warum aber soll man diese Zwecke anstreben? Und helfen uns die irdischen Zwecke auch jene Verantwortung wahrzunehmen, die über unser Leben hinausreicht? Die Verantwortung für unsere Kinder, für die Zukunft?

 

Wenn wir Kindern den religiösen Diskurs – zum Beispiel im Religionsunterricht − vorenthalten, enthalten wir ihnen die vernünftige Bearbeitung jener Frage vor, die jeden Menschen seit je beschäftigt: Wozu das Ganze? Bildung ist die Fähigkeit, auf die Herausforderungen des Lebens angemessen zu reagieren und die Zukunft sinnvoll zu gestalten. Um angemessen reagieren zu können, muss man eine Antwort auf eben diese Frage suchen: Wozu das Ganze?

 

Volker Ladenthin

 

Prof. Dr. Ladenthin ist Professor für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft an der Universität Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt erschienen: Wozu religiöse Bildung heute? Sieben Versuche, an der Endlichkeit zu zweifeln, Echter Verlag, Würzburg 2014.

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