• Ausgabe 1-2 / 2015

    GLAUBE MACHT SCHULE

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Unsere Themen im Jahr 2015

"Es ist noch nichts Besseres erfunden"

Interview mit dem Wiener Regens Richard Tatzreiter

 

Richard TatzreiterHerr Regens, das Konzil hat dazu aufruft, die "Zeichen der Zeit" zu erkennen. Was lässt sich aus diesen Zeichen der Zeit im Blick auf das Priesteramt und die Rolle des Priesters heute herauslesen?

 

Ein solches "Zeichen der Zeit", das Aufgabe und Rolle des priesterlichen Dienstes besonders betrifft, ist ein Wechsel in der Gewichtung zwischen den beiden Seiten des Profils: Vor 50 Jahren lag der Akzent auf der kirchlichen Amtlichkeit, die die jeweilige Person des Priesters betont überstieg. Dem "Hochwürden" begegnete man gesellschaftlich trotz mancher persönlicher Unzulänglichkeit des konkreten kirchlichen Amtsträgers allgemein mit Respekt. Auf die amtliche Autorität konnte sich der Priester auch in persönlichen Schwierigkeiten leichter stützen und berufen. Der Mensch stand hinter dem Amt.

 

Mit zunehmender Personalisierung in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren Priester heute, dass sie in ihrem Amt persönlich stärker herausgefordert sind als früher. Der Mensch steht vor dem Amt und wird an ihm gemessen. Vor dem hohen Anspruch des Amtes scheinen manche offen oder unausgesprochen eine Art "Wunderwuzzi" zu fordern, während andere dem Priester manche Schwächen und Verfehlungen deshalb nachsehen, weil er "ja auch nur ein Mensch" sei, kaum aber, weil er ein Priester sei. Und auch die persönliche Glaubwürdigkeit ist heute von einem Priester sicher noch viel mehr gefordert als vor 50 Jahren.

 

Haben sich auch die Erwartungen der Seminaristen an ihren Beruf und an ihre Ausbildung gewandelt?

 

Ja, die Zeiten haben sich tatsächlich geändert: Ab den 1960er bis in die 1990er Jahre lebte man in Europa – vereinfacht gesagt – weitgehend im "Modus der Veränderung": Die Möglichkeit, die Welt, Umwelt und Gesellschaft zu gestalten, also selbst aktiv Veränderung zu bewirken, prägte weithin das Bewusstsein. So erfasste auch in der Kirche viele ein enormer Gestaltungsdrang. Mir scheint inzwischen die Generation, die etwa um 1990 zur Welt kam, vielfach umgekehrt an die Wirklichkeit heran zu gehen und einen "Modus der Wahl" bzw. der Entscheidung zu bevorzugen. Dabei wird das Vorgegebene zunächst zur Kenntnis genommen und grundlegend akzeptiert, dann jedoch unterschieden, ausgewählt und schließlich angeeignet.

 

Für diese Generation ist das Konzil nicht mehr neu, sondern geschichtliche Vergangenheit. Das gegenwärtige kirchliche Reformvorhaben von Papst Franziskus wird daher nicht als synodales "Revival" erlebt, sondern tatsächlich als ganz neuer Aufbruch. Von ihrer Ausbildung erwarten Seminaristen heute als Teil dieser neuen Generation allgemein hohe Professionalität von den Ausbildnern, stärkere Berücksichtigung der eigenen Individualität und vor allem Angebote zu einer geistlichen Formung mit Tiefgang, die auch späteren schweren Stürmen standhält.

 

Priester sollen heute zahlreiche Kompetenzen haben – von geistlich-theologischer Kompetenz über "Manager-Kompetenzen" bis hin zu einem hohen Maß an geerdeter Dialog- und Teamfähigkeit. Sind eigentlich Priesterseminare für diese umfassende Ausbildung noch die richtigen, zeitgemäßen Orte?

 

Unser Subregens Markus Muth pflegt manchmal bei der Infragestellung des Priesterseminars zu sagen: "Es ist noch nichts Besseres erfunden." Ich teile diese Ansicht. In einem Haus wie dem Priesterseminar ist man aufeinander angewiesen, man wird durch andere intensiv herausgefordert und muss sich entscheiden. Es entspricht ganz der Formung der Jünger, die Jesus zuerst aus den Menschen auswählt und bei sich versammelt, um sie später auszusenden. Das Priesterseminar ist, gute Führung vorausgesetzt, ein derzeit unverzichtbarer Ort, an dem die angesprochene Vielfalt der Kompetenzen konzentriert vermittelt und ausgeprägt werden können.


Zuletzt setzte man beim Priesternachwuchs auf die sogenannten "Spätberufenen". Hält dieser Trend an oder welche Entwicklung in der Priesterausbildung können Sie erkennen?

 

Geradewegs von der Matura kommend, fand ich mich als "frühberufener Frischling" im Priesterseminar (1988-1995) weitgehend unter meinesgleichen. Sogenannte "Spätberufene" bildeten eine überschaubare Minderheit. Später wendete sich das Blatt und die "Spätberufenen" waren im Seminar mehrheitliche Normalität. Bisweilen meinte man, die Reife der Spätberufenen gegenüber den Frühberufenen besonders hervorheben zu müssen, um schließlich aus wachsender Erfahrung zu erkennen, dass allein das höhere Alter noch keine Garantie menschlicher und geistlicher Reife ist. Nun beobachten wir derzeit, dass wieder mehr junge Interessenten vorstellig werden. Es wird sich allerdings erst in den nächsten zwei bis drei Jahren zeigen, ob dies der Anfang eines neuen Trends ist oder nicht.

 

Der im letzten Jahr verstorbene Prälat Josef Toth, langjähriger Regens in der Erzdiözese Wien, galt als maßgeblicher Gestalter der Priesterausbildung in Österreich. Inwiefern verdankt sich die Priesterausbildung heute noch dieser Grundlegung Toths?

 

Mein erstes Jahr als Seminarist stand unter der Leitung dieses großen Vorgängers. Ich verdanke Regens Josef Toth viel, ich erinnere mich oft und gerne an ihn. So erlebte ich im Priesterseminar eine große Freiheit, die nichts mit Beliebigkeit zu tun hatte, sondern mit Verantwortung für sich und die anderen. Regens Toth erkannte in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts, dass jeder Priester seine unverwechselbare Persönlichkeit in den priesterlichen Dienst in der Gemeinschaft der Kirche glaubwürdig und authentisch einzubringen hat, dass die Identität des Amtes dadurch nicht entstellt, sondern als "Einheit in der Vielfalt" und als "Vielfalt in der Einheit" bezeugt wird. Er verstand es, in väterlicher Weise die Verschiedenheit der Seminaristen "um die Mitte" zu scharen, auf sie fördernd und gegebenenfalls korrigierend einzugehen, aber auch institutionell für eine Ausbildung auf der Höhe der Zeit zu sorgen.

 

Das Interview führte Henning Klingen

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